Vorschlagskatalog zur Reform österreichischer Wahlprozesse Januar 2017 inklusive Addendum (CLICK)
Graphik Österreichisches Wahlsystem (CLICK)
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zur Wiederholung der Bundespräsidentenstichwahl hat Probleme in den österreichischen Wahlprozessen zu Tage gebracht, die schon länger einer Lösung bedürfen. Die Wiederholung und Verschiebung der Stichwahl haben das Vertrauen der Wähler in die professionelle Durchführung von Wahlen geschmälert. Ab Januar 2017 soll eine Reformgruppe der Parlamentsparteien Wahlrechtsreformen ausarbeiten, die über die Bundespräsidentenwahl hinausgehen.
Wahlbeobachtung.org ist eine unabhängige, unparteiische, zivilgesellschaftliche Arbeitsgemeinschaft österreichischer Wahlbeobachter und -experten mit internationaler Wahlerfahrung, die das Ziel verfolgt, konstruktiv zur Verbesserung der österreichischen Wahlprozesse und des Wahlsystems beizutragen. Mit diesem Vorschlagskatalog will wahlbeobachtung.org daran mitwirken, das Vertrauen in die österreichischen Wahlprozesse und deren Integrität wieder zu stärken und das Hinterfragen der Wahlprozesse als Chance für künftige weitreichendere Reformen verstanden wissen.
Im Zuge angedachter Reformen der Wahlgesetzgebung könnte eine Vereinfachung, Vereinheitlichung und Harmonisierung der Wahlgesetzgebung auf Bundes- wie auch auf Landesebene in Erwägung gezogen werden. Es ist wichtig, dass künftige Wahlrechtsrechtsreformen auch entsprechende Empfehlungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/ Büro für Demokratische Institutionen und Menschrechte (OSZE/ODIHR) und des Europarates/ der Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) umsetzen und den internationalen Verpflichtungen im Rahmen der Vereinten Nationen, der OSZE sowie des Europarats/ der Venedig Kommission entsprechen.
Wahlprozessreformen sollten möglichst inklusiv und konsultativ sein und zusätzlich zur Bundeswahlbehörde, den Parlamentsparteien und der Wahlabteilung im Bundesministerium für Inneres auch andere Vertretungskörper, unabhängige Experten und zivilgesellschaftliche Gruppen miteinbeziehen.
Das Wahlsystem sollte ein Spiegel der Gesellschaft sein und sich wie diese auch verändern, und den Prinzipien der Verfassung und den darin verankerten Grundrechten entsprechen. Die Einführung eines zentralen Wählerregisters wurde bereits im Parlament beschlossen, und dessen Verwendung ist für Beginn 2018 vorgesehen. Maßnahmen zur besseren Förderung von Frauen im Parlament könnten etwa an positive Anreize in der Parteienförderung gekoppelt werden. Die Verteilung und Berechnung der Direktmandate gemäß der Bevölkerungsstärke von Regionalwahlkreisen wäre im Sinne der Chancengleichheit speziell für kleinere Parteien und unabhängige Kandidaten zu überdenken.
Die steigende Nutzung der Briefwahl im In- und Ausland ebenso wie Unsicherheitsfaktoren bei besonderen Wahlkommissionen (fliegenden Behörden) verlangen nach mehr Sicherheit und Transparenz im Umgang mit Wahlkarten. Diese sollten bereits am Wahltag in den einzelnen Wahlsprengeln ausgezählt werden, um genaue und rasche Ergebnisse zu erhalten. Um allen Wählern bundesweit gleiche Wahlmöglichkeiten zu bieten, sollten die Öffnungs-, Schließ- und Auszählungs-zeiten der Wahllokale angepasst und vereinheitlicht werden. Alle Sprengelwahlergebnisse sollten vor Ort als auch zeitnah digital und zentral veröffentlicht werden. Die Möglichkeiten und der Zeitrahmen für die persönliche Stimmabgabe mittels Wahlkarte an den Magistraten/ am Gemeindeamt vor dem eigentlichen Wahltag sowie die Einführung eines zusätzlichen Vorwahltages sollten erwogen werden.
Um das System der Wahlbeisitzer zu gewährleisten und zu stärken, sollten die Kriterien für Wahlbeisitzer weiter geöffnet werden. Es könnte erwogen werden, eine Mischform einzuführen, die sowohl Vertreter politischer Parteien als auch Vertreter der Zivilgesellschaft einbezieht. Dies könnte auch als Maßnahme dienen, das Interesse von Bürgern (vor allem junger Menschen) an der Teilnahme am politischen und demokratischen Prozess abseits von Parteizugehörigkeit zu stärken. Die Bestellung von Beisitzern in Wahlbehörden von Wahlsprengeln sollte durch eine gerechte, einheitliche Entschädigung, kohärente Trainingscurricula und entsprechende Rechtssicherheit verbessert werden.
Um allen Parteien die gleichen Chancen einzuräumen und ein verständliches, umfassendes Regelwerk für den politischen Wettbewerb zu gewährleisten, sollten Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Wahlkampf- und Parteienfinanzierung vertieft werden. Dies könnte angepasste Obergrenzen für Wahlkampfausgaben, wirksamere Sanktionen im Falle von Überschreitungen sowie eine bessere Regelung und frühere Offenlegung der Einkünfte und Ausgaben während und unmittelbar nach dem Wahlkampf beinhalten. Es wäre angebracht, dem Rechnungshof und dem Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat weitere Befugnisse einzuräumen, um Parteien- und Wahlkampffinanzierung eingehender zu prüfen und effektiv zu sanktionieren, so wie von Europarat/GRECO gefordert.
Die österreichischen Medien üben ihre Selbstverpflichtung zu fairer Wahlberichterstattung zumeist vorbildlich aus. Die Zuständigkeiten und rechtlichen Grundlagen für den Umgang mit sozialen Medien in Bezug auf die Verkündung von Wahlresultaten, Wählerbeeinflussung und angemessene Sprache (bzw. hate speech) sollten besser geklärt werden. Schulen, private und öffentliche Bildungseinrichtungen, Parteiakademien, zivilgesellschaftliche Vereine sowie die Wahlabteilung des Bundesministeriums für Inneres könnten verstärkt Wählerinformation, insbesondere für Erstwähler, anbieten.
In Österreich gibt es noch keinen Präzedenzfall für die Mobilisierung nationaler Wahlbeobachter, da solche in der Wahlgesetzgebung noch nicht vorgesehen sind. Dies widerspricht internationalen Standards, denen sich die Republik Österreich im Rahmen internationaler und regionaler Vereinbarungen verpflichtet hat. Daher sollte die Möglichkeit nationaler Wahlbeobachtung gesetzlich verankert werden.
Wahlbeobachtung.org wurde im Zuge der Recherchen und Expertengespräche mit großer Offenheit begegnet. Vertreter von allen im Parlament vertretenden politischen Parteien, Vertreter der Bundeswahlbehörde und der Wahlabteilung im BMI, sowie zahlreiche Vertreter anderer staatlicher Institutionen und Experten nahmen sich die Zeit und hatten Interesse daran, Wahlreformempfehlungen zu diskutieren. Ein Diskussionspapier mit 30 Empfehlungen wurde im Oktober 2016 mit allen Gesprächspartnern geteilt. Nach dem intensiven Wahljahr 2016 soll dieser nun vorliegende überarbeitete Vorschlagskatalog als Referenz für künftige Wahlreformdiskussionen dienen.
Die OSZE hat ihren Sitz in Wien und Österreich hat 1990 das OSZE Kopenhagen Dokument mitverhandelt und mitverfasst! Siehe dazu OSZE Kopenhagen Dokument Artikel (8): “Die Teilnehmerstaaten vertreten die Auffassung, daß, wenn Wahlen abgehalten werden, die Anwesenheit von Beobachtern sowohl aus dem In- als auch aus dem Ausland für den Wahlprozeß von Vorteil ist. Aus diesem Grund werden sie Beobachter aus anderen KSZE-Teilnehmerstaaten sowie alle geeigneten privaten Institutionen und Organisationen, die dies wünschen, einladen, den Verlauf ihrer landesweiten Wahlen zu beobachten, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Ebenso werden sie sich bemühen, einen gleichartigen Zugang zu Wahlen unterhalb der nationalen Ebene zu ermöglichen. Diese Beobachter verpflichten sich, nicht in das Wahlgeschehen einzugreifen.”