Wien, 5. März 2021: Der Standard publizierte den untenstehenden Kommentar der anderen von wahlbeobachtung.org zu den Verbesserungen der Briefwahl in Österreich. Der Kommentar der anderen kann ist auch hier online abrufbar.
Die ungelösten Probleme der Briefwahl
Die Briefwahl hat Zukunft, das zeigt die Pandemie. Drei Maßnahmen würden in Österreich zu Verbesserungen führen
Kommentar der anderen
Armin Rabitsch, Paul Grohma, Michael Lidauer
Foto: APA / Gerd Eggenberger
Welches Verbesserungspotenzial gibt es bei der Briefwahl? Die unabhängige Initiative Wahlbeobachtung.org hat die Gemeinderatswahl in Wien einer Analyse unterzogen. Im Gastkommentar geben Armin Rabitsch, Paul Grohma und Michael Lidauer Empfehlungen für künftige Wahlen.
In Österreich schafft es die Briefwahl immer wieder in die Schlagzeilen. Erst jüngst die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Kärnten. In der Gemeinde Hohenthurn sorgte ein gestohlener und später wieder aufgetauchter Tresor mit Wahlkarten für Aufregung. Und dank Briefwahlrekord lag das endgültige Ergebnis in den Städten nicht am Wahlsonntag vor.
Herausforderung Briefwahl
Auch während der Corona-Pandemie werden weltweit Wahlen abgehalten, meist mit besonderen Schutzmaßnahmen, die Ansteckungen am Wahltag verhindern sollen. Der Briefwahl kommt dabei eine zentrale Rolle zu, da sie Menschenansammlungen im Wahllokal effizient reduziert.
Auch im internationalen Vergleich hat die Pandemie den bereits bestehenden Trend verstärkt, Briefwahlkarten per Post an die Wahlbehörde zu übermitteln oder diese vorab im Gemeinde- oder Bezirksamt abzugeben. Beispiele reichen von den Präsidentschaftswahlen in den USA über Kommunalwahlen in Bayern, die zur Gänze per Briefwahl durchgeführt wurden, bis hin zu der Gemeinderatswahl in Wien, bei der ein neuer Rekord an Briefwahlstimmen verzeichnet wurde. In Wien wurden 382.214 Wahlkarten beantragt, was mit 28 Prozent der Wahlberechtigten und rund 40 Prozent der abgegebenen Stimmen mehr als einer Verdoppelung gegenüber 2015 entspricht. In manchen Bezirken wählten bis zu 60 Prozent der Wahlberechtigten per Wahlkarte. Dennoch bringt der Anstieg an Briefwahlstimmen Herausforderungen mit sich, denen in Zukunft vermehrte Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.
(K)ein Wahlergebnis am Wahltag
Reformbedarf besteht in Österreich etwa hinsichtlich des verspäteten Wahlergebnisses. Zwar müssen Wahlkarten bis 17 Uhr am Wahltag einlangen, werden aber erst in der folgenden Woche ausgezählt. Statt wie in Deutschland, wo Briefwahlstimmen noch am Wahltag ausgezählt werden, ist in Österreich ein konkretes Wahlergebnis erst am Mittwoch oder Donnerstag nach der Wahl verfügbar. Bis dahin werden Hochrechnungen zum voraussichtlichen Mandatsstand veröffentlicht, die mit zunehmender Zahl an Briefwählerinnen und -wählern jedoch immer ungenauer werden. Dies gilt insbesondere für die Sprengelwahlergebnisse, da Briefwahlstimmen auf Bezirksebene ausgezählt werden.
In Schweden, Luxemburg, Polen, Dänemark und Norwegen geschieht die Auszählung auf Sprengelniveau zusammen mit den Urnenstimmen, um eine Unterscheidung zwischen Wahllokalstimmen und Wahlkartenstimmen und damit eine Diskriminierung bestimmter Wählergruppen zu vermeiden. Dies bedeutet nicht, dass das aktuelle Briefwahlsystem nicht funktionieren würde, aber dass es angesichts steigender Briefwahlstimmen sinnvoll ist, sich an guten Praktiken in anderen Ländern zu orientieren, um das österreichische Briefwahlsystem zu aktualisieren.
Fehler verringern
Die Zahl der als ungültig eingelangten Briefwahlstimmen liegt im langjährigen österreichischen Durchschnitt bei vier Prozent und ist in erster Linie auf fehlende Unterschriften auf dem Außenkuvert zurückzuführen. Obwohl in Informationskampagnen zur Briefwahl explizit auf die Wichtigkeit der Unterschrift hingewiesen wurde, ist dieser Nichtigkeitsgrund weiterhin der häufigste. Zudem fanden rund sechs Prozent aller ausgestellten Wahlkarten zur Wien-Wahl keinen Eingang in das Wahlergebnis, da manche Wahlkarten nie aufgegeben wurden, zu spät einlangten oder auf dem Postweg verloren gingen. Was mit diesen rund 23.000 möglichen Stimmen, also etwa drei Prozent der Gesamtstimmen, geschehen ist, bleibt ungewiss.
Diese Unklarheit könnte ausgeräumt werden, indem die Post sowie die Wahlbehörde Strich- oder QR-Codes auf dem Außenkuvert zur genaueren Nachverfolgung der Wahlkarte nutzen, wobei die geheime Stimmabgabe gewahrt bleibt. Dies ist etwa in Neuseeland oder Südkorea bereits üblich. So könnte eruiert werden, wie viele Wahlkarten nie aufgegeben wurden, welche zu spät einlangten oder nicht transportiert wurden. Eine erweiterte Nutzung des QR-Code-Systems könnte zudem die Briefwählerinnen und -wähler über das rechtzeitige Einlangen ihrer Wahlkarte informieren, entweder über eine automatisierte E-Mail oder über die Möglichkeit, diese Information online abzufragen. Briefwählerinnen und -wähler könnten auch in Kenntnis gesetzt werden, falls die notwendige Unterschrift fehlte oder die Wahlkarte zu spät eintraf. Die so gewonnenen Informationen würden auf lange Sicht zu einem Rückgang der ungültigen Briefwahlstimmen führen und beim Eliminieren von Fehlerquellen helfen.
Daten schützen
Infolge der technischen Probleme mit Wahlkarten im Zuge der Bundespräsidentenstichwahl 2016 wurde in den darauffolgenden Wahlen wieder auf die Lasche am Außenkuvert zum Abdecken von Unterschrift und persönlichen Daten der Wählerinnen und -wähler verzichtet. Eine Stellungnahme des österreichischen Datenschutzrats von 2009 empfahl mit Bezug auf das Datenschutzgesetz, dass “von der zwingenden Anführung personenbezogener Daten des Wählers auf dem Umschlag Abstand genommen wird”. Da die Wahlbehörde ein drittes (Außen-)Kuvert als zusätzliche Fehlerquelle ansieht, wäre die Wiedereinführung der Lasche zur Abdeckung der persönlichen Daten, sofern dies technisch fehlerfrei machbar ist, eine naheliegende Lösung.
Wahlreformen angehen
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass geringfügige Anpassungen der Briefwahl mit der Nutzung der aktuellen technischen Möglichkeiten zu drei Verbesserungen führen würden: erstens, eine Auszählung der Briefwahlstimmen bereits am Wahltag mit akkuraten Ergebnissen am Wahlabend. Zweitens, die Möglichkeit der Nachverfolgung von Briefwahlkarten zur Vermeidung von Fehlern und als Service für die Wählerinnen und -wähler. Und drittens, der verbesserte Datenschutz durch Wiedereinführung der Lasche am Außenkuvert.
Die vorgezogenen Neuwahlen 2019 und die Covid-Pandemie verzögerten die von den jeweiligen Regierungen geplanten Wahlreformen. Doch 2021 muss der partizipative Wahlreformprozess in Österreich fortgesetzt werden. Die nächste Wahl kommt bestimmt. (Armin Rabitsch, Paul Grohma, Michael Lidauer, 5.3.2021)
Armin Rabitsch hat sich in den letzten 20 Jahren im Rahmen der Vereinten Nationen, der EU und der OSZE engagiert, um Wahlprozesse zu verbessern und demokratische Strukturen zu stärken.
Paul Grohma ist seit 2003 Wahlbeobachter für die Europäische Kommission sowie OSZE/ODIHR und leistete technische Unterstützung bei Wahlen im Rahmen der Vereinten Nationen.
Michael Lidauer arbeitet und forscht seit 2003 zu Wahl- und Friedensprozessen sowie zivilgesellschaftlicher Beteiligung.
Rabitsch, Grohma und Lidauer sind Mitglieder der unabhängigen, überparteilichen zivilgesellschaftlichen Initiative Wahlbeobachtung.org zur Stärkung demokratischer Praktiken und der Verbesserung von Wahlprozessen.