Der Gastkommentar von wahlbeobachtung.org ist am 12. Oktober 2018 in der Presse erschienen.
Die österreichische Wahlpraxis ist gut, aber doch verbesserungswürdig. Empfehlungen internationaler Experten zu Transparenz, Informationsfreiheit und Wahlkampffinanzierung wurden bisher nur marginal umgesetzt.
Auf Initiative des Nationalratspräsidenten trafen Mitte September Verfassungssprecher, Vertreter der OSZE und der Bundeswahlbehörde sowie der Zivilgesellschaft zum Austausch über Wahlrechtsreformen im Parlament zusammen. Österreichs Wahlpraxis ist gut, doch verbesserungswürdig. Nationale und internationale Wahlbeobachter haben Reformbedarfe im internationalen Vergleich aufgezeigt und Empfehlungen zur Verbesserung der Wahlprozesse formuliert. Die fünf im Parlament vertretenen Parteien sind nun am Zug sich auf entsprechende Änderungen der Wahlgesetzgebung zu einigen.
Das Wahljahr 2016 hat viele Fragen zur Durchführung und möglichen Verbesserung von Wahlprozessen aufgeworfen. Die im Zuge der Wahlanfechtung abgehaltenen öffentlichen Anhörungen vor dem Verfassungsgerichtshof haben zahlreiche Unregelmäßigkeiten offenbart. Zudem ist die Integrität von Wahlprozessen weltweit durch illegale Interventionen in Wahlabläufen wieder zum Thema geworden, selbst in gefestigten Demokratien wie den USA oder Frankreich. Frankreich hat 2017 die vor kurzem eingeführte Online-Wahl für Auslandsfranzosen mit dem Verweis auf das Risiko von Cyber-Attacken wieder abgeschafft. Facebook’s Mark Zuckerberg bezeichnete bei seiner diesjährigen Aussage vor dem US Kongress die Einflussnahme auf Wahlprozesse als große digitale Gefahr der Gegenwart.
Wahlbeobachtung hat in den letzten beiden Jahrzehnten an Bedeutung zugenommen und gilt nun international als anerkanntes Mittel zur Unterstützung und Stärkung von demokratischen Prozessen. Die Organisation zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit Sitz in Wien unterstützt damit die Teilnehmerstaaten bei der Sicherung und Achtung der Grund- und Menschenrechte sowie der Förderung der Prinzipien der Demokratie. Ursprünglich gegründet um neue Demokratien nach Ende des Warschauer Pakts zu unterstützen entsendet die OSZE seit 2002 auch Wahlbeobachtungsmissionen in etablierte Demokratien wie kürzlich nach Schweden. Wahlbeobachter der OSZE werden in diesem Jahr auch wieder bei den Senats- und Kongresswahlen in den USA zugegen sein.
Die Wahlabteilung der OSZE hat bereits neun Mal Missionen nach Österreich entsandt. In keinem anderen Land der OSZE-Teilnehmerstaaten westlich von Wien wurden so oft Wahlmissionen der OSZE empfangen. In ihrem letzten Bericht hat die OSZE Schwerpunktempfehlungen zu Transparenz, Informationsfreiheit und Wahlkampffinanzierung ausgesprochen. Von den insgesamt 44 Empfehlungen der OSZE wurden bisher allerdings nur 2 vollständig umgesetzt und 5 teilweise umgesetzt. 37 Empfehlungen, davon 13 die wiederholt ausgesprochen wurden, harren der Umsetzung.
Österreich befindet sich im Demokratie-Ranking des Election Integrity Project der Universitäten Harvard und Sydney im internationalen Spitzenfeld, liegt in dieser Wertung jedoch sowohl hinter den skandinavischen Ländern als auch hinter Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz. Auch Länder wie Estland und Litauen haben Österreich bereits überholt. Österreichs Status als Gastgeberland der OSZE sowie die derzeitige EU Ratspräsidentschaft könnten zum Anlass genommen werden, die Implementierung der Empfehlungen für Wahlprozessreformen von politischer Seite voranzutreiben. Dies würde auch eine positive Signalwirkung für andere OSZE Länder und mögliche neue EU Mitglieder bedeuten. Österreich könnte dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.
Mit der Aufwertung direktdemokratischer Instrumente, größerer politischer Teilhabe, vermehrter politischer Bildung und einer Stärkung des Parlaments hat die Demokratie-Enquete 2014/2015 Reformbedarfe festgestellt. Einiges davon wurde bereits eingelöst, anderes harrt jedoch noch der Umsetzung, wie etwa das Plädoyer der Kommission zur Abschaffung der Amtsverschwiegenheit und Schaffung eines Grundrechts auf Zugang zu Informationen; Themen welche auch im jüngsten OSZE-Bericht aufgenommen und als Reformempfehlungen Entsprechung fanden.
Bei der Wahlreformdiskussion im Parlament wurde zudem auch die Einführung eines Überkuverts für die Briefwahlkarte noch vor der Europawahl 2019 behandelt. Nach den mangelhaften Wahlkartenkuverts 2016 wurden die Wahlkartenkuverts von 2009 ohne Lasche wiedereingeführt auf welchen Vor- und Familienname, das Geburtsjahr und die Unterschrift des Wählers wieder unverdeckt auf dem Wahlkartenkuvert ersichtlich sind. Obwohl Postbedienstete in Österreich an das Postgeheimnis gebunden sind könnte vor allem für Auslandsösterreicher die Verwendung eines Wahlkartenkuverts ohne verdeckte persönliche Daten deren Datenschutz verletzen.
Die steigende Nutzung der Briefwahl im In- und Ausland ebenso wie Unsicherheitsfaktoren bei besonderen Wahlkommissionen (fliegenden Behörden) verlangen aber auch nach einer zusätzlichen Vereinfachung der Wahl mit Wahlkarten und besseren Sicherheitsmaßnahmen, etwa einer Unterschriftenkontrolle. Das neue zentrale Wählerregister würde zudem kosteneffizientere und zeitoptimierte Abläufe ermöglichen, die insbesondere für Auslandsösterreicher wichtig sind. Per Strichcode am Wahlkartenkuvert könnte auch eruiert werden, ob aufgegebene Briefwahlstimmen rechtzeitig und unversehrt einlangen, auch seitens der Wähler etwa über eine Webseite des BMI.
Die Koalitionsparteien verständigten sich in der Regierungsvereinbarung (Seite 20-21) auf einige wenige Elemente der Wahlreform und planen die „Weiterentwicklung des Wahlrechts auf Basis des bestehenden Verfassungsrechts in Richtung eines besseren Services für die Bürger sowie gleichzeitig Vermeidung von Manipulationsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes anlässlich der Aufhebung der Bundespräsidentenwahl“.– Dies inkludiert eine Ausweitung der persönlichen Stimmabgabe bereits vor dem Wahltag durch die gesicherte Abgabe der Briefwahlkarte in jedem Gemeindeamt schon in den Tagen vor dem tatsächlichen Wahltag.
Das Wahlsystem sollte ein Spiegel der Gesellschaft sein und sich wie diese auch verändern, um den Prinzipien der Verfassung und den darin verankerten Grundrechten sowie internationalen Verpflichtungen entsprechen. Die Vereinten Nationen, das Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE, die Venedig Kommission des Europarats sowie der Europäische Menschenrechtsgerichtshof geben bei Wahlreformen die internationalen Standards und gute Praktiken vor. Die Wahlrechtreformbemühungen von wahlbeobachtung.org zielen darauf ab, dass am Ende eines partizipativen Wahlreformprozesses ein robustes, neues oder erneuertes Wahlrecht steht, das mit breiter Mehrheit im Parlament verabschiedet wird. Die durch den Nationalratspräsidenten Mitte September initiierte Veranstaltung gab den Anstoß für wichtige Wahlrechtsreformen, von denen einige noch vor der Europawahl 2019 begonnen werden könnten.
Wahlbeobachtung.org ist eine unparteiische, zivilgesellschaftliche Arbeitsgemeinschaft österreichischer Wahlbeobachter und –experten mit internationaler Wahlerfahrung, die das Ziel verfolgt, konstruktiv zur Verbesserung der österreichischen Wahlprozesse beizutragen. Das Team besteht aus Armin Rabitsch, Michael Lidauer und Paul Grohma, die zusammen Erfahrungen aus Wahlbeobachtungsmissionen- und Wahlassistenzeinsätzen in über 60 Ländern mitbringen, darunter auch Nachbarländer wie Deutschland, Slowenien oder die Tschechische Republik. Seit 2016 setzt sich das Team intensiv mit Wahlreformen in Österreich ein. Für „hervorragende Arbeiten und realisierte Initiativen im Bereich der bürgerschaftlichen Bildung“ wurde wahlbeobachtung.org der Barbara Prammer Preis 2017 verliehen.